Dann nimmt er erst mal mit größter Vorsicht einen kleinen Schluck aus dem Pappbecher, den ihm Hanna inzwischen auf den Tresen gestellt hat, Hanna, die schwarze First Lady der Bäckerei, bei der ich mir morgens immer meinen ersten Kaffee besorge.
Gerade hat sie mir noch erzählt, dass die Freundin, die ihr die Haare schneidet, für die neue Frisur vier Stunden gebraucht hat, und jetzt lässt sie ihre Ohren ein ganzes Stück aus dieser beeindruckenden Explosion ihres Kopfschmucks herauswachsen, um mitzukriegen, was da so erzählt wird.
“Und ich muss noch nach Antwerpen, ich bin Belgier, Kapitän, wir laden heute Gefahrgut, da muss ich dabei sein”. Wieder nimmt er behutsam einen Schluck Kaffee, schüttelt den Kopf, als verstünde er die Welt nicht mehr, schaut mich mit reuigem Blick an und sagt: “Nee, Sie, das war nicht gut – wissen Sie, ich bin Buddhist! ”
“Macht nichts, kleiner Rückfall!”, sage ich lachend und stecke ihn an damit, und dann glucksen wir noch eine Weile beide in uns hinein, wohl das selbe Bild betrachtend: der Buddhist und die leicht ausufernde Weihnachtsfeier.
Einen Augenblick nur schaut er mich an, ob ich noch bliebe, ob ich verstehen würde, was er mir gleich erzählen will, und dann wird er ernster: „Das war damals während des ersten Golfkriegs, als der iranische Jumbo von den Amerikanern abgeschossen worden ist. Da bin ich auch schon zur See gefahren und bei den Bergungsarbeiten dabeigewesen. Wir haben so viele Leichen aus dem Wasser gezogen! Schließlich sind wir auch noch beschossen worden und ich hab’ Freunde von mir sterben sehen. Du kommst an den Punkt, wo du nicht mehr denken kannst: ‘Das ist der Wahnsinn der anderen’, wissen Sie! Ich hab’s mit der Angst zu tun bekommen. Hab’ dann Urlaub genommen, bin nach Thailand geflogen und in ein Kloster gegangen, hab’ mich erst mal ein paar Tage nur hingesetzt und meditiert. Um nicht … um nicht …“ „verrückt zu werden“, sage ich und er nickt: „Ja, um nicht verrückt zu werden.“
Hanna hat uns inzwischen zwei weitere Kaffee spendiert und auf den Tresen gestellt, und es gibt eine kleine Pause, in der sich der Belgier sammelt und noch einmal ganz zurückgeht in die Zeit damals. „Ich bin dann Buddhist geworden“, sagt er schließlich, „also richtig eingeweiht und für eine Weile als Mönch in das Kloster aufgenommen worden. Ohne Schuhe, in ganz einfachen Gewändern sind wir jeden Tag auf die Straße gegangen und haben die Menschen um etwas zu essen gebeten, das war ein wichtiger Teil unserer religiösen Übung. Und wissen Sie was, das hat mich gerettet, irgendwann hat sich wieder das Gefühl in mir durchgesetzt, dass immer alles da ist, was man braucht, dass die Willkür und der Wahnsinn nur Episoden sind, Blindheiten, die nichts an dieser Tatsache ändern: es ist gesorgt für uns. Verstehen Sie?“
Anstatt zu antworten, schau’ ich ihn nur an, und Hanna drückt, wie um sich dem störenden Anblick von Geld zu entziehen, ihre Kasse zu. Und ich will der Weihnachtsmann sein, wenn da nicht der Buddha zwischen uns gelächelt hätte.
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