luftzumathmen: Auf Kurs mit Wundern
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                                                            Blindenhilfe

3/12/2015

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„Nö, wieso?“
Sie schüttelt erstaunt den Kopf auf meine Frage, ob ich ihr helfen könne.
„Ach deshalb!“, sagt sie und zeigt auf das Sehbehindertenzeichen an ihrer Jacke, „das geht schon, alles klar!“
Dass sie schon neunzig sei, erzählt sie dann und die Lebensfreude dennoch eher zunehme, „man muss sich für das Leben interessieren“, gibt sie ihr Geheimnis preis, und dann wirft sie die Arme in die Luft und krönt das Ganze mit der Schlussfolgerung ihres bis hierhin ja schon langen Lebensweges, die so manches ausgeklügelte Philosophiegebäude  mit einem Lächeln milden Bedauerns zum Einsturz bringen und seine Trümmer der Sonne ihrer wunderbaren Heiterkeit aussetzen würde:
„Und der Geist, mein Herr, ich sage Ihnen, der ist nicht das Gehirn, der ist doch da und dort!“
Und dabei wirft sie ihre Arme den Bäumen entgegen, in die Wolken schleudert sie ihre ganze Lebensweisheit und über sie hinaus.
Zu guter Letzt gibt sie mir auch noch einen Buchtipp, „Junger Mann, das müssen Sie lesen!“: ‘Blick in die Ewigkeit’, und ihr „Blindenzeichen“ scheint mich dabei geradezu anzugrinsen.
Ich wollte ja nur helfen ….


                                                                                                                                                     *
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                                             Das macht doch nichts ...

29/11/2015

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„Weißt du,  Martha, die ganze Situation hier ... wenn jetzt jemand kommen würde und mir mitteilen müsste, dass ich nicht mehr lange zu leben hätte ... ich würde nicht erschrecken!  Was du da gestern noch zu ihm gesagt hast,  das hat mir irgendwie die Angst vorm Tod genommen. Vielleicht kommt sie wieder,  das halte ich sogar für wahrscheinlich,  aber für den Moment ...“

„Ich hab' nicht überlegt, ich hatte nicht einmal großartige Emotionen dabei,  hab's einfach gesagt,  es ... lag in der Luft ... war da ... ich hab's nur ausgesprochen. Schon dass ich ihn letzte Woche nach dem Gespräch mit dem Arzt sofort mit nach Hause genommen habe, ist einfach so passiert,  ich hatte das gar nicht geplant. Aber es war plötzlich ganz klar,  dass ich das tun würde, dass es richtig war ...“

„Martha, du musst nicht,  das weißt du,  aber würdest du mir sagen,  worauf du ihm eigentlich geantwortet hast, was hat er dir ins Ohr geflüstert? Wir haben das ja nicht verstehen können.“

„Natürlich, Leo, vor dir hab' ich keine Geheimnisse!  Er hat einfach nur gesagt: "Martha,  Liebe, ich kann nicht mehr kämpfen." Und weißt du, das hab' ich auf eine ganz bestimmte Art gehört ... ich war so in ihm drin, so ... das kann man mit "Nähe" gar nicht mehr beschreiben ... ich hab' es wie eine Bitte gehört, etwas auszusprechen,  worüber wir uns längst schon wortlos geeinigt hatten, es für euch, seine Freunde, auszusprechen. Ich hab' es gesagt, als sei es das Normalste der Welt: "Das macht doch nichts, wir haben dich alle schon losgelassen!"

„Danke,  dass du mir das noch erzählt hast, Martha, er ist sehr friedlich gewesen danach, eigentlich gilt das für uns alle,  wir sind alle friedlich geworden, nachdem du das gesagt hattest.“

„Ja, Leo, das sind wir, es war ... es war einfach da."


                                                                                                                                                    *

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                                                            Begegnung

23/11/2015

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Was für ein bezauberndes Kind!
Vier Jahre ist er alt und spricht noch kaum, mehr als zehn Worte hab' ich nicht von ihm gehört in den letzten fünf Stunden.
Familientreffen. Elias ist mit seinen Eltern und dem drei Jahre älteren Bruder gekommen, um Tante C. zum Geburtstag zu gratulieren. Auch das macht er wortlos, stürmt sozusagen direkt in ihr Herz, ohne lange Vorrede.
Er hat ganz offensichtlich eine Art zu kommunizieren gefunden, die gänzlich ohne Sprache auskommt: Jede seiner Bewegungen, all seine Gesten sind so präzise, nein besser: sie sind so eindeutig und klar, dass man sofort weiß, was er „sagen“ will. Vieles erledigt er nicht nur wortlos, sondern  auch sozusagen im Alleingang, z.B. die Exploration des Hängeschrankes hinsichtlich eventuell anzutreffender Süßigkeiten, und er zeigt dabei eine unglaubliche Körperbeherrschung, wenn er die notwendigen Kletterhilfen vor dem Schrank aufbaut und anschließend schwindelfrei und verantwortungsbewusst wie ein erfahrener Bergsteiger die erforderliche Höhe erklimmt.
Er fragt also nicht, ob er das tun darf, nicht mit Worten, aber alles an ihm bleibt ehrlich, offen, er setzt unser Einverständnis voraus, bei dem, was er unternimmt, würde sich aber jederzeit korrigieren lassen, so jedenfalls ist mein Eindruck.
Allmählich wird mir klar: genau das ist das Wichtigste für ihn: Dabei zu sein, mitzusprechen, in Kommunikation zu sein mit allen anderen, auf seine Art.
Als sein Bruder ihm ein Spielzugauto aus der Hand reißen will, wütend, weil es ihm gehöre, verteidigt er sich nur kurz, gibt es schließlich her, und dann ... weint er. Ich habe noch nie ein Kind derart weinen sehen: ohne Gebrüll, ohne „aber ich!“, ohne Zorn. Er ist einfach nur traurig. Es geht ihm gar nicht um das Auto, er spürt vielmehr den Schnitt, die Abgrenzung, die Absage ans Gemeinsame, er spürt Rangordnung, Habenwollen, Besitzrecht, und er spürt die Anklage an ihn. Zutiefst betrübt lässt er sich von der Mutter nur allmählich wieder trösten. So stimmt die Welt nicht mehr für ihn.

Irgendwann sitze ich auf dem Sofa neben Tante C. Elias hat sich hinter ihrem Rücken angeschlichen, ist irgendwie auf die Rückenlehne geklettert und in dem Moment, als ich ihn entdecke, stürzt er sich von oben auf mich. Ich fang' ihn auf … oder er mich? Er lässt sich mit seinem vollen Gewicht auf mich fallen und doch … ganz behutsam landet er auf mir, sanft wie ein Feder. Unglaublich! Einen Moment lang schauen wir uns an wie Verbündete, die sich hinter dem Rücken der anderen zublinzeln: so ginge es auch, nicht wahr?

Was für ein bezauberndes Kind, das noch von keinem angriffslustigen "Ich" vergiftet kommunizieren kann, noch nicht gelernt hat, mit den Fallgruben unserer Worte zu taktieren,  noch so … unmittelbar ist.

Er ist ein Segen für seine Familie, die den ersten Schreck, als klar wurde, dass Elias' Gene die besondere Konstellation der Trisomie 21 aufweist, vollständig erholt hat. Er hat etwas unsagbar Wertvolles für alle mitgebracht. Ich werd' Dich jedenfalls nie vergessen, kleiner Mann, und wie du mich mit deinem ganzen Wesen überfallen hast ...


                                                                                                                                                    *
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                                                           RENDEZVOUS

6/11/2015

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Sie sind definitiv beide älter als achtzig!, denke ich.
Er muss zum Arzt, sie bringt ihn. Vor der Tür der Praxis aber bleiben sie noch eine Weile stehen und flirten ein wenig miteinander, sehr gut für mich zu beobachten, ich stehe nur wenige Meter entfernt an der Bushaltestelle.
Ja, genau, sie flirten! Ich würde sogar sagen, sie turteln wie die Frischverliebten. Er himmelt sie an, sie himmelt zurück, „hast du mal ein bisschen Geld für mich?“ fragt er, und sie: „Geld willst du von mir? Das ist ja heiß!“, und stößt ihn kokett mit dem Ellbogen in die Seite, „nur ein bisschen, für den Bus“!, erwidert er entzückt von ihrer Anmache, „natürlich, mein Liebster, hier hast du!, und komm schnell nach Hause!“
Sie können gar nicht voneinander lassen, aber schließlich trennen sie sich doch, winkend und Küsschen durch die Luft pustend verschwindet er in der Arztpraxis.
Ich muss ganz schön komisch aus der Wäsche schauen, sie blickt mich fragend an, ich sage: „Sie gehen ja entzückend miteinander um!“ „Wer? Ich und mein Mann?“ „Ja, ähh, Sie und Ihr Mann…“ „Danke, ach so … ja, das stimmt, wir haben uns ganz schön gern, und das schon ziemlich lange, wir sind beide über neunzig, wissen Sie!“
Und dabei schaut sie mich an mit ihrem vom Herbst des Lebens gezeichneten Gesicht, aus dem sich ein zauberhaftes Lächeln über alle Schatten erhebt, die neunzig Jahre lang vergeblich versucht haben, sein Licht zu verdunkeln.

                                                                                                                                                    *

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                                                                 Obdach

27/10/2015

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Diese Geschichte hat mir mein Freund Tom erzählt:

Zwei Männer sind es, deren Begegnung in einem Krankenhaus mit einigem Recht als bemerkenswert bezeichnet werden kann:
Tom, der nach einer langen Nachtwanderung erschöpft von Anstrengung und Kälte zusammengebrochen war, weil das elektrische Leitungssystem seines Herzens die Signale zur Muskelkontraktion nur noch ungeordnet weitergegeben hatte, was zur Diagnose „Vorhofflimmern“ und der notfallmäßigen Aufnahme im Krankenhaus geführt hatte,
und Erwin, den übermäßiger Alkoholkonsum in eine ähnlich bedenkliche körperliche Situation gebracht hatte und der in der kleinen Parkanlage direkt vor dem Krankenhaus gleich vom Personal eingesammelt und erstversorgt worden war.
Der Zufall also, vielleicht war’s auch das Schicksal, hatte die beiden zu Zimmernachbarn werden lassen.

Man sprach an diesem Abend nicht mehr sehr viel, Tom konnte aber an Erwins Äußerem und der Tatsache, dass er seine Habseligkeiten in vier Plastiktüten mit sich führte, erahnen, dass es sich wohl um einen Obdachlosen handele.
Erwin musste sich dann am nächsten Morgen – nicht ganz nach seinem Willen – gleich wieder verabschieden, da er nicht mit einer Krankenkarte aufwarten konnte und die Ärzte befanden, dass sich sein Zustand aufgrund der erfreulichen Tendenz der ihn krankmachenden Substanz, sich auf natürlichem Wege relativ rasch zu verflüchtigen, über Nacht so weit verbessert habe, dass eine Entlassung zu rechtfertigen sei.

Schon am Abend desselben Tages aber war er wieder da, diesmal als Besucher. Etwas schüchtern kam er herein, – Tom saß gerade beim Abendessen – stellte erleichtert fest, dass das zweite Bett freigeblieben war, und bat Tom ohne Umschweife, noch einmal die Wonnen eines warmen Duschbades genießen zu dürfen. Tom empfand das Bedürfnis seines Ex-Nachbarn als durchaus nachvollziehbar und sah keinen Grund, ihn abzuweisen. Er gab ihm sein Duschgel, verwies auf die frischen Handtücher im Bad und genoss weiter sein Abendessen, während Erwin ausgiebig duschte. Anschließend huschte dieser etwas verlegen an Tom mit einem kurzen „danke“ vorbei und verschwand.

Am nächsten Abend, zur gleichen Zeit, erschien er erneut. Die Zeit war nicht schlecht gewählt, weil die Stationsschwestern mit der Essensausgabe beschäftigt waren und derweil die Gefahr eines Überraschungsbesuches ihrerseits beispielsweise zum Blutdruckmessen, Bettenmachen oder ähnlichem relativ gering war.

Diesmal stapelte Erwin, bevor er seine Bitte äußerte, vor Tom drei Dosen Makrelen in Tomatensoße auf, als Abonnement für die nächsten drei Tage sozusagen und wohl in der berechtigten Annahme, mit dieser kulinarischen Delikatesse die sprichwörtliche Krankenhauskost um Längen schlagen zu können. Tom inspizierte kurz die Ware, befand die Dosen rostfrei, dellenlos, ungeöffnet, vom Verfallsdatum her akzeptabel und damit in einwandfreiem Zustand und erklärte sich lächelnd mit dem Deal einverstanden.

Das Ganze ging dann noch etliche Tage nach Ablauf des Abos weiter, jetzt gab es auch mal einen kleinen Salat oder was Süßes, und man gewöhnte sich an, sobald Erwin sein Duschbad beendet hatte, noch eine Weile am Fenster des Krankenzimmers, das sich im siebten Stock befand, zusammenzustehen, hinauszuschauen und ein paar Worte zu wechseln.
Dabei blickten die beiden Männer genau auf Erwins Arbeits – und Wohnbereich und Tom erfuhr, hinter welchem Busch der Schlafsack wartete und wo die aussichtsreichsten Stellen waren, von den Krankenhausbesuchern etwas Geld abzubekommen.

Nach knapp zwei Wochen wurde Tom endlich entlassen, sein Herz schlug wieder regelmäßig und es ging ihm gut. Er packte seine Sachen zusammen und trat noch einmal ans Fenster. Da sah er Erwin, wie er unten, mitten auf der Wiese stand, und zum siebten Stock hinaufblickte, offensichtlich in dem Bemühen, das richtige Fenster zu identifizieren. Als Erwin das vertraute Gesicht Toms entdeckte, winkte er ihm erfreut zu und Tom erwiderte den Gruß gerührt, Freund auf Zeit und Bruder auf ewig.


                                                                                                                                                    *


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                                                          Lebe wohl!

30/9/2015

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Wir kennen uns seit dreißig Jahren: er, der große Literaturkritiker, ich, der kleine Dienstleister, und wir haben uns von Anfang an sympathisch gefunden. Drei oder vier Mal im Jahr haben wir uns gesehen und uns immer über Literatur, unsere gemeinsame Leidenschaft, unterhalten.
Als ich im letzten Jahr mein erstes kleines Buch veröffentliche, bin nicht nur ich, sondern auch er ganz aufgeregt: gleich will er es lesen und natürlich sende ich es ihm sofort zu, ganz gespannt auf sein „Urteil“.
Er hat es nie gelesen. Natürlich hat er die Richtung gekannt, in der ich schreibe, aus unseren Gesprächen zuvor, und vielleicht ist das der Grund: meine Weltanschauung ist ganz sicher nicht die seine gewesen, die man vielleicht sinnlich-pragmatisch, zupackend und rational nennen kann, und sein Verhältnis zur Spiritualität hat er selbst als das eines Agnostikers bezeichnet: er wolle nichts ausschließen, aber solange kein Beweis vorliege, orientiere er sich lieber an der Realität.
Das ist für unsere Gespräche nie ein Problem gewesen, aber jetzt … jetzt liest er mein Buch nicht! Und natürlich bin ich irritiert. Vorsichtige Nachfragen machen klar: Nicht einmal aufgeschlagen hat er es, und ich komme an den Punkt, an dem ich die Hoffnung aufgebe, er werde es doch noch einmal in die Hand nehmen: es ist wichtiger, dass unser gutes Verhältnis bestehen bleibt.

Dann ist er achtzig geworden. Ich habe ihm bei der nächsten Gelegenheit gratuliert und  ihn auf den offenen Brief seiner Tochter angesprochen, der in den Zeitungen abgedruckt gewesen ist: Die wunderbar geschriebene ganz große Liebeserklärung einer Tochter an ihren Vater, und so sage ich ihm das auch. Und dass ich fände, dass jemand, der derart in der Liebe eines anderen Menschen aufgehoben sei, von sich sagen könne, er sei angekommen. Das hat ihn sehr gerührt, und von da an ist der kleine Misston zwischen uns verschwunden, wenn wir uns wieder begegnen und doch die leise Frage im Raum steht: hast du’s jetzt gelesen? Etwas hat die kleine Verstimmung überholt und gelöscht.

Und daran habe ich viel gelernt.

Danke, lieber Freund, denn so darf ich dich nennen, seit wir uns dieses eine Mal begegnet sind an dem Ort, den man in Büchern eh nur unzureichend beschreiben kann.

Heute in der Nacht bist du gestorben. Lebe wohl!


                                                                                                                                               *
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                                Am tiefsten Punkt des Strudels

22/9/2015

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„… Und sie haben mich alle einfach fallen lassen, wenn sie nicht mehr weitergewusst haben, so hab’ ich das empfunden!“ Das ist es, was sie runterzieht wie ein Strudel und nicht mehr loslässt, bis ihr die Luft und der Lebensmut beginnen knapp zu werden. „Kein erklärendes Wort, schon gar kein entschuldigendes, niemand hat wirklich mit mir gesprochen, ich bin jedesmal einfach weitergeschoben worden“: „Wir können es nicht mehr ändern, sie haben die Risiken gekannt, und Sie haben Ihre Einwilligung unterschrieben!“ Das hört sie, und sonst nichts.

Es beginnt mit einer einfachen Arthrose im rechten Knie, der späten Auswirkung eines kleinen Unfalls, welcher zwanzig Jahre zurückliegt. Die erste Operation misslingt, nach der zweiten infiziert sich das Gelenk, was einen monatelangen Krankenhausaufenthalt zur Folge hat. Dann muss sie mühsam wieder Gehen lernen. Die lange einseitige Belastung zerstört die Hüfte, eine künstliche muss eingesetzt werden. Ein Zahnarzt hält es nicht für notwendig, bei einer Zahnentzündung ein Antibiotikum zu geben, die Keime gelangen in die Blutbahn und infizieren wiederum das Knie, daraufhin liegt sie ein dreiviertel Jahr mit einer riesigen klaffenden Wunde im Krankenhaus. Es ist von Amputation die Rede. Schließlich wird das Bein nur versteift, ein rechtes Kniegelenk hat sie jetzt nicht mehr. Einsetzende massive Rückenschmerzen führen zu mehreren Operationen, deren Notwendigkeit fragwürdig bleibt und von denen keine auch nur die geringste Linderung ihrer Schmerzen bringt, ganz im Gegenteil, sie werden unaushaltbar.

„Ich bin wie über ein Fließband geschoben worden, mehrere Jahre lang. Und niemand von denen, die mich behandelt haben, hat in der ganzen Zeit auch nur ein einziges gutes Wort für mich gehabt, Verwandte hab’ ich nicht mehr, ich bin ganz allein, wissen Sie!“

Da ist sie fast am Ende ihrer Kraft. Und in dieser Situation trifft sie den, von dem sie jetzt sagt, dass er ihr Retter sei, ausgerechnet der, der den vielleicht größten Fehler macht: Er operiert sie erneut, um Verwachsungen zu lösen, die aus den Narben der vorangegangenen Operationen resultieren und nach seiner Meinung die Schmerzen wesentlich mitverursachen.
Dabei durchtrennt er versehentlich einen wichtigen Nerv, irreparabel. Ihr bislang gesundes linkes Bein wird davon taub und nahezu unbrauchbar.

Dieser Arzt aber bekennt sich zu seinem Fehler. Er ist am Boden zerstört und zeigt das auch, es tut ihm einfach entsetzlich leid, dass er dieser Frau ein weiteres Leid zugefügt hat und sie endgültig in den Rollstuhl gebracht  hat, statt ihr geholfen zu haben. Er spricht von sich aus die Möglichkeiten einer Klage gegen sich an, um wenigstens einen finanziellen Ausgleich zu erwirken. Und er verspricht ihr, dass sie mit allen Fragen und Problemen, die sie haben wird, jederzeit zu ihm kommen kann.

Der Strudel verliert seine Kraft und sie taucht auf. Sie verzichtet auf eine Klage. „Ohne ihn hätte ich den Mut verloren“, sagt sie, diesen Mann kann ich nicht verklagen. Manchmal ruft er sie an und erkundigt sich nach ihr. Sie ist auch schon bei einigen Vorträgen mit dabei gewesen, in denen er ihren Fall als Beispiel fehlerhafter Behandlung vorgestellt hat. „Es kann ja passieren“, sagt sie, „wir machen alle Fehler, auch große“.

Den wesentlichen Fehler aber hat er nicht gemacht: er hat sie nicht fallenlassen.


                                                                                                                                                *

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                                      Ein König in Deutschland

6/9/2015

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Das Thema geht mir schon den ganzen Morgen durch den Kopf und will mich nicht loslassen: Krieg, Not, Flüchtlinge, Asyl, Einwanderung, und vor allem: Hilfe, wo muss sie anfangen, wo darf sie aufhören, was ist überhaupt Hilfe, wofür ein „Ja“, wofür ein „Nein“. Das ist solch eine Gemengelage im Moment, dass mir der Kopf schwirrt und sich die Antworten anfangen, gegenseitig zu jagen.
Plötzlich alles rot, höchste Alarmstufe, gleich explodiert wahrscheinlich was, oder ich werde manövrierunfähig und knalle gegen den nächsten Baum oder … aber das signalrot hektisch blinkende Batterie-Symbol beruhigt mich mit seinem vertrauenerweckenden Plus und Minus: entweder ist die Batterie hinüber oder die Lichtmaschine, jedenfalls keine Lebensgefahr.
Was tun?
Es ist mal wieder, wie immer in solchen Fällen, Sonntag. Trotzdem versuche ich Elmir, meinen Werkstattmeister anzurufen – ein Genie unter den Schraubern - vielleicht hat er heute seinen Basteltag. Hat er nicht, aber wir erarbeiten gemeinsam die für mich zwar zeitaufwendige, aber immerhin zielführende Strategie, dass ich meinen Halbfranzosen jetzt gleich vor sein Werkstatttor fahre, ohne vorher noch einmal den Motor auszumachen, und er sich dann morgen gleich um ihn kümmern wird.
Und das heißt für mich, dass ich an diesem wunderschönen, sonnigen Sonntagmorgen, es ist zehn Uhr, statt zum Frühstücken in eine ganz besondere Gegend Hamburgs fahren werde: die Billstraße. Neulich gab es einen Artikel in der Zeitung, in dem die Billstraße als
„Parallelwelt“ und „Billig-Basar“ bezeichnet worden ist. Und in der Tat sieht man hier wochentags schon auf dem Gehweg Möbel, Fahrräder und Kühlschränke stehen, und in den zur Straße hin offenen Hallen entdeckt man alles von der Taschenuhr bis zum zwei Meter hohen Grinse-Buddha. Auf den Hinterhöfen werden Elektrogeräte, Spielzeug und Kleidung gehandelt und wenn man noch weiter ins Hinterland vordringt, vorbei an Bergen gebrauchter Autoreifen, gelangt man zu den zahlreichen Garagen, in denen v.a. Autoteilehändler und Mechaniker auf engstem Raum ihrer Arbeit nachgehen. Wie eben auch Elmir, das Schrauber-Genie. Sein Nachbar, ein ausgesprochen lebenslustiger Russe, hat mich bei meinem letzten Besuch so angesprochen: „Bist du Deutscher? Der letzte Deutsche war vor zwei Monaten hier, und der musste wieder ausreisen, er hatte kein Visum!“ Und dann hat er sich über seinen eigenen Witz minutenlang ausgeschüttet vor Lachen und uns alle damit angesteckt. Es ist kein schlechter Begriff: Die Billstraße ist eine Parallelwelt.

Aber heute ist Sonntag, und wirklich niemand scheint hier zu sein: die Rolltore der Hallen sind heruntergelassen, keine Waren stehen auf den Gehwegen, die Bäckerei, in der ich schon manche Wartezeit verbracht habe und auch der Imbiss, den ich bisher nur als von Menschen umlagert kenne: geschlossen. Hier ist niemand. Menschenleer, die Parallelwelt ist heute eine wahre „Desert City“.
Nun, ich muss mit meinem havarierten Gefährt also besagten Weg über die Hinterhöfe nehmen, Elmirs Garage ist ganz hinten rechts. Einen Moment lang wollen Bedenken hochkommen: vielleicht ist es doch ein bisschen einsam, ist das hier sicher genug für mich? Aber nein, ich sage mal: die Sonne scheint. Und es ist Sonntag. Was kann denn da schon passieren!
Auch auf dem Hinterhof niemand zu sehen. Ich stelle meinen Wagen wie verabredet an seinen Platz, räume meine Sachen zusammen und will gerade gehen, als sich die Holztür eines kleinen gemauerten Gebäudes, das neben Elmirs Garage diese kaum überragt, quietschend öffnet. Heraus tritt ein junger Mann dunkler Hautfarbe ( ich werde nie lernen, wie man im Augenblick politisch totalkorrekt sagen soll ) also sehr dunkler Hautfarbe, in T-Shirt, rot-blau-gestreiften Boxershorts und Badelatschen, der mich freundlich grüßt, als sei ich hier der liebe Nachbar. Seelenruhig beginnt er, die nasse Wäsche, die er auf seinem linken Arm trägt, mit rechts zum Trocknen über eben jenen Drahtzaun zu hängen, der den Bereich der Garagen von dem Autoreifenareal trennt. Jede seiner Bewegungen sagt in absoluter, ungebrochener Sicherheit: „Ich bin hier zu Hause“, heimeliger kann ein Anblick nicht mehr sein.
Er fragt nicht, was ich hier wolle, alles ist o.k., wir sagen freundlich „tschüss“, wie nette Nachbarn das eben tun, und ich winke ihm noch mal von jenseits des Autoreifenberges zu, als ich wieder auf die Straße zurück gehe, um mir eine Taxe zu bestellen.
Da sitze ich nun wartend auf der Eisentreppe zur Rampe einer der Verkaufshallen, wo ich sonst oft den Chef habe sitzen sehen, wie er ein Bündel Geld durchzählt oder seinen Kaffee schlürft, und das kleine Erlebnis von eben bringt mir mein Thema dieses Morgens wieder in den Sinn: Multikulti: geht das? Wie geht das? So, im ganz Kleinen wie eben, geht’s schon mal, denk' ich.
Ich fange schon wieder an, die Fragen und Antworten durchzumischen, die dieses Thema hervorbringt, als ein ausgesprochen hübsch gekleidetes kleines Mädchen ebenfalls (sehr) dunkler Hautfarbe  plötzlich um die Ecke des Gebäudes kommt und etwas verstört zuerst,  mich auf der Treppe sitzen zu sehen, dann aber doch sein herrlichstes Kinderlächeln  schenkend  an  mir vorbeihüpft, gefolgt von drei in farbenfrohe Festtagsgewänder gekleideten Frauen, die sich angeregt unterhalten und meinen Gruß kurz erwidernd vorübergehen.
Und dann er! Zunächst denke ich, er gehöre gar nicht zu den Frauen und dem Kind, da er sich von der anderen Straßenseite her nähert. Er ist vielleicht fünfundvierzig Jahre alt, sein schlanker, kräftiger Körper ist in einen dunkel-anthrazitfarbenen Maßanzug gekleidet, der an ihm hinunterfällt wie Wasser, die Manschetten seines weißen Hemdes schauen aus den Jackettärmeln, als käme er gerade vom Stylisten, Krawatte und Einstecktuch feuerrot wie das Temperament, mit dem er jetzt mit Bewegungen, die ein Europäer niemals auch nur wird imitieren können, über das Kopfsteinpflaster dieser Billigweltstraße geht, und aus der Parallelwelt einfach mit seiner Präsenz die Welt macht, die einzige.
Als die Frauen ihn in ihrer Sprache anrufen, wirft er lachend den Kopf in den Nacken: Ein König in Deutschland, kein König der Asylanten oder Einwanderer, nein, auch kein König der Deutschen, für diesen einen Moment: ein König der Freude des Lebens an sich selbst.

Und für diesen selben einen Moment habe ich alle Antwort.


                                                                                                                                                 *


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                                                          Excuse me

27/8/2015

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„Do you speak English?“, fragt er mich, sein Deutsch ist nicht besonders, und er will erzählen. Seine markanten Gesichtszüge, die davon sprechen, dass er in seinem Leben harte Entscheidungen getroffen hat, sind wie unterwandert von einer staunenden Milde, was seinem Antlitz etwas Geheimnisvolles gibt. Von Damaskus erzählt er zunächst, wo seine schöne Villa steht, „so ähnlich wie diese“, sagt er und zeigt stolz auf einen der prächtigen Altbauten, die den Hamburger Stadtteil Rotherbaum prägen. Lange war er jetzt schon nicht mehr in Syrien, „die Umstände sind nicht danach“.  Hier wohnt er südlich der Elbe und verbringt dort jetzt den größten Teil seiner Zeit, auch wenn er trotz seiner zweiundsiebzig Jahre noch immer regelmäßig in sein Moskauer Büro fliegt. Und das, obgleich er dreimal in der Woche zur Dialyse muss, seine Nieren versagen ihm seit einem Jahr ihren Dienst.
„Die Krankenhäuser in Hamburg und in Moskau kooperieren“, sagt er, wiederum mit einer ordentlichen Prise Stolz, „um mir das Weiterarbeiten zu ermöglichen“. „Cooperation“ und „Communication“ sind seine Wörter, und sie sind ihm wichtig. Man hat sich sehr bemüht, herauszufinden, warum er seit der letzten Dialyse plötzlich starke Dauerschmerzen in den Muskeln und den Knochen hat, bisher ohne Erfolg, „aber sie werden es herausfinden“, meint er und holt tief Luft.
„Excuse me“, das wird er noch oft sagen, wenn er eine kleine Erzählpause macht und dann fortfahren will. Es wird ein Abriss seines Lebens und seiner Einschätzungen der Machtverhältnisse dieser Welt und man merkt: er hat eine Menge gesehen und erlebt. „Cooperation“ und „Communication“ sind die Eckpfeiler seines Glaubens an unsere Fähigkeit, in Frieden miteinander zu leben.
Syrien, Russland, die Ukraine, Putin, die Flüchtlinge, er holt weit aus. Und natürlich „Amerika“, wie er sagt, er sei nicht „anti“, aber er wolle Antworten auf seine Fragen.
Und dann macht er eine längere Pause. Und sein „excuse me“, bevor er zum letzten Teil seiner Erzählung kommt, klingt anders, es weint fast.
Er ist im Irak geboren. Von der Hochzeit erzählt er, die in der Nähe seines Heimatdorfes gefeiert werden sollte. Man habe Zelte errichtet, drei Tage und Nächte ein rauschendes Fest gefeiert und dabei auch, wie es der Brauch sei, in die Luft geschossen, Freudenfeuer.
„Sechshundert Menschen“, sagt er tonlos, „mussten sterben, als das Areal gezielt bombardiert wurde“.

„Excuse me, how can wie love them?“ fragt er und schaut mich an. Es ist die Frage eines Menschen, dessen Leben fast buchstäblich an seidenem Faden hängt und der mit dieser Frage nicht eine negative Antwort geben will, sondern ohnmächtig nach seinem eigenen Ausweg sucht. Ist da noch ein Weg? Die Milde hinter seinen harten Gesichtszügen spricht von einem „Yes“. Auch wenn es zögert.


                                                                                                                                            *


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                                                       Unter Linden

24/8/2015

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Ohne zu zögern hat er sofort nach dem Anruf für den nächsten Tag einen Flug von Barcelona nach Hamburg gebucht. Zwei Monate zuvor ist er zuletzt hiergewesen und hat beim Umzug seiner Schwester ins Altenheim geholfen. Jetzt  haben ihn seine beiden Nichten angerufen, um ihm zu berichten, dass ihre Mutter wohl den Lebenswillen verloren habe, sie spreche nicht mehr, man wisse nicht, ob sie überhaupt noch jemanden erkenne, im Heim nenne man sie jetzt „debil“. Und seit einigen Tagen habe sie auch keine Nahrung mehr zu sich genommen.
In Hamburg angekommen, begibt er sich auf dem kürzesten Weg zu ihr, seiner Schwester. Er war immer der schräge Vogel der Familie gewesen, seine Schwester diejenige, die ihn beschützt und verstanden hat. Bei ihr hat er sich alles erlauben können. Jetzt, kurz vor dem Altenheim, überfällt ihn die Ohnmacht: wie das zurückgeben, wie ihr helfen? Will sie wirklich gehen? Soll er die Töchter auffordern, mehr für ihre Mutter zu tun? Gibt es dieses „Mehr“? Er selbst lebt seit dreißig Jahren in Barcelona, hat dort seine Familie und hätte gar nicht die finanziellen Mittel, viel für seine Schwester zu tun. Was ist richtig? Wer soll das wissen? Was wird diese Begegnung sein, ein reiner Pflichtbesuch? Er spürt es anders, etwas zieht ihn mit Macht zu ihr, er weiß nicht, was. Bangend betritt er ihr Zimmer.
Es ist schlimmer, als er es sich vorgestellt hat, sie regt sich nicht, schaut ihn nicht an, erkennt ihn nicht. Er legt die Blumen auf den kleinen Tisch am Fenster, und dann spricht er eine halbe Stunde lang mit ihr, erzählt von sich, von seiner Familie, richtet Grüße aus. Dann die gemeinsam erlebte Kindheit: „Weißt du noch …?“
Nichts.
Sie reagiert überhaupt nicht. Sie erkennt nichts wieder. Sein Besuch war umsonst. So denkt er und bleibt noch zwei Stunden bei ihr sitzen, hält ihr die Hand, erzählt ab und zu noch etwas, und versinkt dabei zunehmend in ein erbärmliches Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
Dann steht er auf, um zu gehen. Sie reagiert nicht. Er geht bis zur Tür. Und kehrt wieder um, setzt sich wieder hin. Es ist ihm etwas eingefallen.
Er beginnt zu singen, die alten Lieder, die man in der Familie gesungen hat: „Der Jäger aus Kurpfalz“, „Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Kein schöner Land“.

„… in dieser Zeit …“,
und da singt sie einfach mit: „… als hier das unsre weit und breit …“.
Sie blickt ihn an und da weiß er, warum er hergekommen ist.

                                                                                                                    „… Wo wir uns finden,
                                                                                                                            wohl unter Linden,
                                                                                                                               zur Abendzeit …“.

Später essen sie gemeinsam ein Leberwurstbrot. Es wird nicht viel gesprochen, und irgendwann merkt er, dass sie gerne wieder allein wäre und verabschiedet sich.
Ich treffe Klaus auf dem Weg zum Flughafen, er muss zurück. Die Unsicherheit bleibt, was aus seiner Schwester wird, aber seine Ohnmacht hat ihn verlassen.

                                                                                                                      „… Wo wir uns finden,
                                                                                                                             wohl unter Linden,
                                                                                                                                zur Abendzeit ...“.


                                                                                                                                                  *
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                                                     Gute Bekannte

23/8/2015

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Wir sind uns zuvor noch nie begegnet. Er erzählt mir, eher beiläufig, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Eine Woche lang müsse seine Frau dort noch verbringen, dann würden sie endlich wieder nach Bremen zurückfahren können.
Als wir uns verabschieden und ich sage: „Grüßen Sie Ihre Frau, und wünschen Sie ihr alles Gute von mir!“, lacht er reflexhaft auf, in einem fast spöttischen Ton, als fände er die Idee absurd, dass ich seine Frau, die ich ja gar nicht kenne, derart grüße.
Dann aber hält er mitten in seinem Lachen inne, schaut einen Moment lang nur vor sich hin, so, als ob er sich an etwas erinnere, blickt mir schließlich ins Gesicht und sagt ganz ruhig, wie um mir auf diese Art hinter den Worten noch zu sagen, an was er sich da erinnert: „Das werde ich ihr gerne ausrichten“.

Es ist eine Illusion, zu glauben, wir kennten einander nicht.


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                                                       Pannenhilfe

17/8/2015

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Diese Begebenheit hat mir mein Freund Ünsal
bei einer Tasse Kaffee erzählt, den ich vor lauter Zuhören  fast (!)
habe kalt werden lassen, was, wer mich kennt, schon viel heißt!



Er macht gerade Urlaub in dem kleinen Dorf, in dem der größte Teil seiner Familie lebt, irgendwo im Innern der Türkei. Heute hat er sich den Wagen seines Schwagers ausgeliehen, um damit in die etwa fünfzig Kilometer entfernte Provinzhauptstadt zu fahren, wo er einiges auf dem Amt zu erledigen hat. Etwa auf der Hälfte der Strecke, die durch recht einsame Gegenden führt, sieht er schon von weitem ein liegengebliebenes Fahrzeug, um das die vorbeikommenden Wagen einen dezenten Bogen machen, wobei sie eher etwas schneller als langsamer werden. Diese Manöver werden von dem Fahrer des Pannenautos, der ausgestiegen ist und wild gestikulierend versucht, jemanden zum Anhalten zu bewegen, derart beantwortet, dass er sich mit einer ärgerlichen Geste auf die Schenkel schlägt, deutlich seine Empörung ausdrückend über die verweigerte Hilfeleistung.
Ünsal erklärt mir, dass das Vorbeifahren „normalerweise“ auch genau das richtige Verhalten sei, denn oft würden in dieser Gegend Pannen vorgetäuscht, um letztlich auf betrügerische Weise an das Geld der Hilfewilligen zu kommen.
Mit solchen Gedanken nähert er sich also dem Ort des Geschehens und erst kurz, bevor er ihn erreicht, entscheidet er intuitiv: ich halte an und helfe, vielleicht ist es ja doch eine echte Notsituation.
Es kommt, wie es kommen muss: der Mann will Geld. Der Wagen müsse abgeschleppt werden in eine Werkstatt, und keiner der Vorbeikommenden habe das bisher unentgeltlich machen wollen. Ünsal bietet ihm an, dies für ihn zu tun. Jetzt behauptet der Fahrer, dies ginge aber nur mit einer Abschleppstange, weil die Bremsen des Wagens nicht mehr funktionierten. Damit kann Ünsal nicht dienen.
Er schaut mich mit großen Augen an, als er erzählt: immer wieder habe er sich überprüft, was er glaube: Betrug oder nicht, alles habe ja irgendwie danach ausgesehen, aber ganz sicher sei er in keiner Phase gewesen.
Irgendwann bricht er das Palaver ab und trifft eine Entscheidung. Er gibt dem Mann das Geld, das nötig ist, den Wagen bis in die nächste Werkstatt abzuschleppen, und als der überglücklich Wirkende und ihn jetzt auch noch Umarmende anbietet, ihm zur Sicherheit seinen Fahrzeugschein mitzugeben, den er dann demnächst wieder abholen werde, wenn er ihm das Geld zurückbringe, lehnt Ünsal ab. Er will die Sache jetzt und hier beenden. Der Mann bedankt sich überschwänglich und Ünsal fährt weiter.
„Ich habe mich in diesem Moment dafür entschieden, zu helfen für den Fall, dass es eine echte Not ist“, sagt er und schaut mich aus den Augenwinkeln an, „obwohl ich eher glaube:  es war eine Betrügerei, aber ich hab' das in Kauf genommen.“ Und dann nimmt er einen Schluck Kaffee und mir wird klar: es gibt von dieser Geschichte einen zweiten Teil.

In der Provinshauptstadt angekommen, parkt er seinen Wagen vor dem Amt und erledigt  während der nächsten Stunde die Dinge, derentwegen er hergekommen ist.
Als er damit fertig ist und wieder losfahren will … streikt sein Auto. Nichts rührt sich, der Anlasser macht keinen Mucks. Wahrscheinlich die Batterie, denkt er und animiert einen Passanten, ihm beim Anschieben behilflich zu sein. Ohne Erfolg. Jetzt steht er mitten auf der Straße und weiß nicht weiter.
Da kommt ein junger Mann auf ihn zu, nennt ihn „Onkel“ ( was, wie mir erklärt wird, in diesem Fall keine Verwandtschaftsbezeichnung ist, sondern eine Respektbezeugung dem Älteren gegenüber ) und bietet seine Hilfe an: er habe das gleiche Modell und kenne diese Macken. Das sei, tröstet er Ünsal, alles kein Problem, aber man bräuchte doch einen Mechaniker für die kleine Reparatur. Und da wisse er auch jemanden, mit dem er jetzt mal telefonieren wolle. Kurz und gut: eine halbe Stunde später ist ein Mechaniker vor Ort und bringt das Auto mit ein paar gekonnten Handgriffen und Schraubenschlüsselumdrehungen wieder zum Laufen.
„Und?“ ich muss das jetzt einfach fragen, „haben sie Geld gewollt?“
Ünsals Augen werden noch runder, er schaut an mir vorbei und ich sehe, wie er wieder in die Situation eintaucht auf der Straße vor dem Amt, wo die drei Männer sich verabschieden:
„Von Geld hat da überhaupt niemand gesprochen!“, sagt er, „die haben das gern für mich gemacht“.


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                                     In der Ruhe liegt die Kraft

13/8/2015

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Ich bin heute sehr früh unterwegs. Es ist halb sechs, außergewöhnlich warm für diese Uhrzeit, der Himmel ist bedeckt, ganz wenig feiner Regen fällt und es weht eine wohltuende, die Lungen öffnende frische Brise. Eine halbe Stunde Zeit ist noch, bis der erste Bäcker öffnet und ich meinen Morgenkaffee kaufen kann, mit dem sich der neue Tag erst seinen Namen verdienen muss.
Ich setze mich auf eine Bank und genieße die Ruhe der Eppendorfer Landstraße, die mit ihren wunderschönen Altbauten, den zahlreichen kleinen Geschäften und dem üppigen Grün der Straßenbäume noch in tiefem Schlaf liegt. Ab und zu kommt jemand vorbei, ein Zeitungsausträger, ein Spätheimkehrer und jetzt sogar ein Jogger. An seiner Kleidung ist er als solcher zu erkennen. Mit halb geöffneten Augen geht er ganz langsam an mir vorbei, er ist wohl entschlossen, seinen so heldenhaft früh unterbrochenen Schlaf doch noch bis mindestens zur nächsten Ecke fortzusetzen, bevor er das tun wird, was seine Kleidung jetzt schon verspricht.
Wenige Autos fahren um diese Zeit auf der Straße und als der erste Bus an der Ampel hält, bäumt sich für einen kurzen Moment der „normale“, an die Realität eines Großstadttages erinnernde Geräuschpegel in die Stille, um gleich wieder in sich zusammenzufallen: wieder diese herrliche Ruhe!
Da geschieht etwas mit mir. Unspektakulär. Nichts, was ich nicht eigentlich schon gesagt hätte. Aber jetzt erst geschieht es: ich werde ruhig. Es ist, als sei ich mit all den Schlafenden hinter den dunklen Fenstern zuinnerst verbunden, und nicht nur mit ihnen, auch mit den Bäumen, dem immer noch leise fallenden Regen und den Gedanken des Joggers, die ich nicht kenne, und dennoch …

… ist da eine Kraft in allem!

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                                                   Unüberwindbar

12/8/2015

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So locker hab' ich bisher tatsächlich noch niemanden davon sprechen hören:
„Nö, sagt sie,  das ist mir so was von egal,  wenn ich jetzt abtreten muss!" Ganz ruhig sagt sie das und ihre Augen funkeln dabei freundlich. Achtzig ist sie jetzt,  vor fünfzehn Jahren ist ihr Mann gestorben,  "wissen Sie, das hab' ich nie überwunden."
"Überwunden?, wollten Sie es denn überwinden?", frag' ich, irgendwie scheint mir das Wort nicht zu dem ausgeglichenen und fröhlichen Eindruck zu passen, den sie auf mich macht.
"Ja. ja. da haben Sie  schon recht", antwortet sie,  "das wollte ich nie, ich wollte nie sowas wie ein "neues Leben" anfangen, vielleicht sogar Ausschau halten nach einem neuen Partner, unvorstellbar für mich! "
Ungläubig frag' ich noch mal nach:
"Wirklich keine Angst?"
"Nein, wirklich nicht, es wär' ok".
"Das ist Liebe zwischen Ihnen und Ihrem Mann, nicht wahr?", frag' ich, sie nickt nur leise lächelnd, hebt die Hand zum Abschiedsgruß und steigt dann in den Zug, denn sie will heute eine Freundin in Berlin besuchen.

Ich bleibe zurück und denke  vorsichtshalber, um nicht in Versuchung zu geraten,  die Sache zu früh einzuordnen .... erst mal nichts.


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                                                   Unverschlossen

7/8/2015

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Wer in der Großstadt lebt, kennt die Szene: er nähert sich mit seinem gerade für viel Geld in einer Waschanlage gesäuberten Auto einer ampelgeregelten Kreuzung, muss bei Rot halten, und wird von einem dort wartenden Mitmenschen freundlich gefragt, ob er die Windschutzscheibe des Wagens putzen dürfe. Die Frage wird meist so gestellt, und so ist es auch jetzt, dass dem Fahrer, also in diesem Falle mir, schon aus größerer Distanz ein professioneller Scheibenabzieher hin – und herfragend entgegengehalten wird, aus dessen Schwammseite lustig das Seifenwasser tropft.
Ich muss zugeben, dass ich zumeist ablehnend auf diese Frage reagiere, und zwar, wenn ich ehrlich bin, aus der Erfahrung dessen heraus, wie in aller Regel mit meinem „Nein“ umgegangen wird: es hat, und so ist es auch diesmal, keinerlei Konsequenz, man kommt auf mein Abwinken hin weiter fragend und wedelnd auf mich zu. Diesmal ist ist es eine junge Frau, hübsch und in einem farbenfrohen Kleid, die mich im Näherkommen unter ihrem Kopftuch her nett anlächelt, wenn auch, so empfinde ich es, aus einem vollkommen verschlossenen Gesicht heraus. Ich wiederhole mein „Nein“ und bewirke wieder nichts, sie kommt weiter auf mich zu. 'Jetzt malt sie mir gleich ein Herz auf die Scheibe', denke ich und da ist sie schon da und malt mir ein Herz auf die Scheibe. 'Dazu kannst du ja gar nicht „Nein“ sagen', heißt das Herz, wie oft hab' ich das schon so erlebt! Man fühlt sich, gelinde gesagt, überrollt. Nein ist nein, oder? Mein Wagen ist frisch gewaschen! War das jetzt eine Frage oder soll ich hier irgendwie gezwungen werden? Solche Gedanken.
Was soll ich sagen. Das Herz, es ist, als sei es nicht außen, sondern innen auf die Scheibe gemalt mit seinen leise platzenden Seifenbläschen. Diesmal hat das Herz tatsächlich recht: ich kann einfach nicht „Nein“ zu ihm sagen. Unmöglich. Ich lasse die Seitenscheibe herunter und gebe einen Euro in ein ganz und gar unverschlossenes Lächeln hinein.

Was danach kommt, ist allerdings ganz anders: sofort sind vier, fünf andere Frauen da, die mir ihre Hände entgegenstrecken, sogar durch das Fenster hindurchlangen, und ich sehe, wie sie untereinander auf meine Geldbörse deuten, die auf dem Beifahrersitz liegt. Das Gefühl, das ich dabei bekomme, ist mir in dieser Form absolut neu: so distanzlos und sozusagen an mir vorbei gierig auf Geld schauend habe ich tatsächlich Menschen in einer direkten Begegnung noch nie erlebt.
Es fröstelt mich. Ich muss los, es ist Grün, ich schließe das Fenster.
Einen Moment lang bin ich wirklich traurig: so schön das eine, so deprimierend das andere Erlebnis. Aber dann denke ich: Verschlossenheit und ihre Ausdrucksweisen dem gegenüber, dem der Ausschluss gilt, ist die Krankheit unseres Geistes, und das ist wahr für uns alle, auch für mich!, sie ist nicht nur eure spezielle Unart. Dieser eine unverschlossene Moment hat uns doch beide geheilt: dich und mich, das ist doch, was zählt!
Und also weiter!

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                                                        Ganz groß!

4/8/2015

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Ein Riese! Er steht mir gegenüber an der Fußgängerampel und wartet wie ich auf das erlösende „Grün“. Seine weit geschnittenen Hosen und das ebenso weite Gewand, das ihm bis an die Knie reicht, passen in ihrem warmen Ockerton geradezu magisch zu seiner braun-schwarzen Haut. ‘Wer hat sich eigentlich diese Ungerechtigkeit ausgedacht, nur Afrikaner mit solchen Körpern auszustatten?’, denke ich, und da wird es „Grün“.
Wir wollen gerade losgehen, als ein Auto viel zu schnell um die Ecke biegt, ohne erkennbare Anstalten zu machen, abzubremsen, was den Riesen zwingt, seinerseits stehenzubleiben.
Erst im allerletzten Moment hält der Fahrer seinen Wagen dann doch noch an, wie einer störenden, aber nicht mehr zu leugnenden Notwendigkeit folgend, und blickt vollkommen emotionslos wirkend hinter seiner Windschutzscheibe her in das Gesicht desjenigen, der jetzt unmittelbar vor seinem Wagen steht.
Ich fürchte schon, gleich Zeuge einer unschönen Szene werden zu müssen, aber nichts davon:
Statt den Fahrer anzuklagen, breitet der Riese seine Arme weit aus (was ihn nicht gerade kleiner wirken lässt!) und hebt sie mit den Handflächen nach oben bis über den Kopf, den er dabei in den Nacken legt, so, als wolle er den Himmel auffordern, wieder Vernunft über den Raser zu bringen.
Eine unglaubliche Geste! Vollkommen unaggressiv, nur kurz und angedeutet, und doch so sprechend und überzeugend, wie es keine noch so souveräne Rede jemals hätte sein können.
Und: so entwaffnend einfach und natürlich, dass wir uns alle Drei – auch der von der Szene wie aufgetaute Autofahrer – herzlich anlachen, als wir jetzt aneinander vorbeigehen bzw. -fahren, beglückt von dieser herrlich gelungenen, friedlichen Kommunikation.
Himmlisch!

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                                                     So 'ne Kacke!

29/7/2015

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Es regnet, es gießt wie aus Kannen, es schüttet wie aus Eimern. Ich teile den kleinen Unterstand einer Bushaltestelle mit einer Familie: Sie, Er und Es. Sie und Er so Mitte dreißig, Es, ein Knabe, so Mitte drei, ungefähr drei Käse hoch und grazil wie eine Elfe. Sie unterhalten sich lebhaft, d.h. hauptsächlich beantworten Sie und Er natürlich die zahlreichen Fragen von Es. Ich bin, was den Inhalt des teilweise lautstarken Gesprächs angeht, auf die Deutung der kunstvoll lautmalerisch eingesetzten Tonfälle, der die Worte ausführlich unterstreichenden Mimik und der stellenweise geradezu theatralisch ausgeführten Gestik der Beteiligten angewiesen, da das Ganze in einer Sprache stattfindet, die ich zwar gerade noch als Portugiesisch identifizieren, der ich aber keinerlei Impulse abgewinnen kann, die in mir irgendwelche Sinnzusammenhänge helfen würden herzustellen: ich verstehe kein Wort!
Trotzdem genieße ich es, diesen Tanz der Kommunikation anzuschauen, und es vermittelt sich mir das herzliche Miteinander der Dreie, die Freude der Eltern über alles, was von ihrem Kind kommt und dessen Vertrauen, mit all seinen Einfällen nur auf Freundlichkeit zu stoßen.
Das waren Zeiten!, denke ich vergnügt und will auch schon gehen, da der Regen nachlässt.
Da baut sich der Kleine unmittelbar vor mir auf – er geht mir nur knapp über die Knie – legt seinen Kopf in den Nacken und schaut mich mit riesigen, kreisrunden Augen an, so als wolle er fragen, ob ich an einer Kontaktaufnahme mit ihm interessiert sei. Entzückt nicke ich ihm aufmunternd zu, und da blickt er kurz nach unten, deutet mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf die beachtlich voluminöse Hinterlassenschaft eines Vogels zu unseren Füßen und spricht, indem er mich wieder anblickt – diesmal mit dem Ausdruck eines gestrengen Lehrers – das wahrscheinlich einzige Wort auf Portugiesisch aus, das ich sofort und ohne die Hilfe eines Wörterbuches verstehen kann: „Kagga“! ( Ich hoffe jedenfalls, dass es ein echtes portugiesisches Wort ist und nicht nur ein allgemeines Kinderwort, denn sonst wäre mein Traum, mit dem heutigen Tag das Erlernen der portugiesischen Sprache begonnen zu haben, tatsächlich nur ein Traum!)

Unbeschreiblich, diese Art von Freude in solchen Momenten! Bei der Mutter sind ebenfalls alle Türen aufgegangen, sie lacht und freut sich einfach mit, während ich artig das Wort wiederhole: “Kagga!”.

Nur der Vater ist wie im Reflex einen Schritt zurückgetreten und hat sich von mir weggedreht, zeigt mir stolz die kalte Schulter: „das ist mein Sohn!“

Er hat ja recht, aber ein bisschen hat er auch unrecht.

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                                                 TRompetensolo

18/7/2015

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Er hat es nicht leicht gehabt bisher. Fredi. Aufgewachsen als jüngster Spross einer wohlhabenden Großfamilie und in herzlicher Atmosphäre,  hat er doch nie so recht  Boden unter den Füßen gespürt.
Vielleicht sind schon zu viele Räume möglicher Identifikation von seinen sechs größeren Geschwistern besetzt gewesen, als er hier angekommen ist, vielleicht hat er es einfach als sein Lebensrätsel mitgebracht: jedenfalls findet er keinen Ort, an dem er sich zuverlässig erkennt und sagen könnte: "Hier, das bin ich." Seine große Zartheit spielt gewiss eine wichtige Rolle dabei.
Er ist nicht wirklich schüchtern, was die anderen können, das kann er auch! Aber wenn er nach vorne tritt, um sich zu zeigen, tut er das als Clown, als Störer, als Normverweigerer, nie als er selbst.
In der Schule bleibt er deswegen hinter den anderen zurück, wenn ihm etwas gelingt, erträgt er kein pures Lob, eine Mischung aus Tadel und Lob geht so grade, da hört er zu und prüft, ob er gemeint sein könnte. Die meisten seiner Lehrerinnen bringt er zur Verzweiflung, die geringste Aufgesetztheit ihres Verhaltens, die leiseste Auslenkung aus der Mitte ihrer Authentizität spürt er sofort und beantwortet sie mit Verweigerung.

Frau Apertus ist seine Klassenlehrerin. Im Laufe des zweiten Schuljahres begreift sie ihn. Sie verzichtet auf alle Versuche, sein Verhalten durch äußere Maßnahmen zu korrigieren und nimmt statt dessen Kontakt mit ihm auf. Ganz langsam gehen sie aufeinander zu, es gibt lange Phasen des Stillstands. Aber manchmal empfindet er jetzt Freude an seinen Leistungen.
Da fasst die Lehrerin einen Plan. Sie unterstützt die Eltern in ihrem Vorhaben, ihn Trompetenunterricht nehmen zu lassen, was er sich gewünscht hat.  Und verspricht ihm, einmal in der Woche auf der Orgelempore der zur Schule gehörigen Kirche mit ihm das "Trumpet Voluntary" von Henry Purcell zu üben,  mit dem Ziel, es gemeinsam beim  Abschlussgottesdienst am Ende der vierten Klasse vor den versammelten Schülern, Eltern und Lehrern aufzuführen.
Er stimmt zu.  Das ist alles noch sehr weit weg,  kein Risiko. Mitte des vierten Schuljahres aber gibt er auf. All die Leute,  er will das nicht. Die Lehrerin weiß, dass Druck ihn nur weiter in die Verweigerung führen würde. Sie lassen den Plan fallen. Die Lehrerin weiß aber auch,  wie wichtig ein solcher Auftritt für ihn sein könnte, bewahrt den Gedanken und hat einen Plan B. Genau zwei Tage vor dem Abschlussgottesdienst spricht sie ihn an:
"Hey Fredi, wir wollten ja mal zum Schulabschluss gemeinsam was aufführen,  hättest du noch Lust, wie wär's mit einem Überraschungscoup, wir sagen niemandem was und spielen einfach?"
Er lässt sich tatsächlich von der Idee begeistern, bekommt dann aber Zweifel: "Frau Apertus, ich kann aber das Stück nur zur Hälfte! "
"Wunderbar", gibt ihm die Lehrerin zurück, "dann spielen wir diese Hälfte, und dann dieselbe Hälfte einfach nochmal, dann haben wir auch ein ganzes Stück! "
Überraschubgscoup mit zwei Klebehälften, das spricht seine Sprache, er stimmt erneut zu.

Als es endlich soweit ist, sie sind die Treppe zur Orgelempore hinaufgestiegen, die Lehrerin will gerade die Klinke zur Emporentür  hinunterdrücken, da knickt er doch wieder ein: "Ich mach's nicht", sagt er nur tonlos und hat sich schon umgedreht,  um die Treppe rasch wieder  hinunterzulaufen, da sieht er die Hände der Lehrerin:
"Frau Apertus, du zitterst ja!", sagt er fassungslos, "hast du auch Angst?"
"Angst, ich?" antwortet die Lehrerin, und da weiß sie: jetzt hat sie gewonnen, Plan B geht auf: "Natürlich hab' ich Angst, was glaubst du denn? Richtig gut geübt haben wir nicht, stimmt's? Vielleicht werde ich mich verspielen. Aber hör' mal: das ist ganz normal, jeder, der einen richtigen Auftritt hat, hat Angst!"
Fasziniert schaut er sie an und sie erwischt den einen Moment:
"Und, was ist jetzt, gehen wir rein?"
"Wir gehen rein", sagt er ganz ruhig, als habe er ihr gesagt: "Das ist ganz normal".

Und dann spielt er sein Stück. Sie hat sofort, nachdem sie die Empore betreten haben, die Orgel bereit gemacht, er hat seine Trompete ausgepackt und schon ist das Zeichen von ihr gekommen: Los!
Und er tritt vor, geht einfach diesen einen unmöglichen Schritt über den Abgrund, für den er noch keine Worte hat, den er aber, hätte er welche, wohl  "Todesangst" nennen würde, geht über ihn hinweg und findet an demselben Ort, den er sonst so fürchtet, nur eine freundliche, ruhige Kraft, die keinen Zweifel an ihm hat. Da spürt er zum ersten Mal in seinem Leben etwas, das er nicht mehr für möglich hat halten können: "Hier, das bin ich!"
Ganz klar, ruhig und schön spielt er und unendlich zart.
Seine Eltern unten in der Kirchenbank fließen über vor Glück, als sie ihn spielen hören und der Applaus der Zuhörer ist lang und anhaltend.

Langsam setzt er die Trompete ab und packt sie schließlich wieder in den Koffer.
"Du, Frau Apertus?"
"Hm?"
"Meinst du, ich soll die Trompete jetzt mit runter in die Kirche nehmen?
"Na klar, mein' ich das, Fredi!"
"Aber da sehen doch die Leute, dass ich es war, der gespielt hat!"
"Das sollen sie auch, Fredi, das sollen sie auch sehen!"



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                                        Und offen steht die Tür ...

16/7/2015

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Meinen Dank an die Autorin dieser Erzählung: Käthe Knobloch
Originaltitel: "Geöffnet für Hunderte, doch offen dann nur für eine ..."
Ursprünglich veröffentlicht auf:

BITTEMITO
Es rappelvollt sich im Floratelier und in den restlichen Räumlichkeiten. Lächeln, Lachen und Komplimente verheddern sich zu einer berauschenden Wolke, die zu den Klangpirouetten des Saxophonisten im bonfortionösen Hinterhofe gen Himmel tanzen will, nur um mit den applaudierenden Tropfen regentuchig wieder auf uns herunter zu kaskadieren. Ich lächle immer wieder über die Schirmkapitulationen, denen schulterzuckende Ergebenheit folgen und freue mich weiter über jeden neu durch den schlitternassen Gang hereindräuendem Neugierstrupp. Sie jedoch habe ich nicht kommen sehen.
Hände werden mir entgegengestreckt, Fragen erfordern konzentrierte Aufmerksamkeit, das hier, das bin ich und mein Tagwerk und es will beworben werden. Ich eile treppauf, treppab, stelle vor, erkläre, hole neue Gläser und zwinkere meinen Lieben zu, die mich in diesem Tun begleiten. Bade in Bewunderung und Zugeneigtheit, wie könnte ich dieses Wonnegefühl in Worte fassen? Photoapparaturen blitzen auf, mancher möchte doch noch ein Sträußchen mit nach Hause nehmen, also wieder hinein ins Floratelier und flugs die blumigen Zutaten zusammengesucht. Und da entdecke ich sie.
Sie sitzt still in dem Bequemsessel, schaut auf ihre Hände, die aneinander Halt zu suchen scheinen. Adrett wie immer und doch wirkt sie anders als sonst. Ich binde mein Bouquet fertig und verabschiede dankend die Besucher, die voll des Lobes sind, zu voll, um ein Ende zu finden. Ich murmele was von Notdurft und stillem Örtchen und eile doch nur, zwei Proseccogläschen zu füllen. Dränge mich durch die schwatzenden Menschen und hocke mich auf den Hocker vor dem Sessel. Achbitte, darf ich hier ein Weilchen sitzen bleiben, ich schaffe es sonst nicht bis nach Hause, flüstert sie, während ihre hellblauen Augen von Tränen geflutet werden. Das erste Glas trinkt sie in einem Zug.
Solange Sie möchten, antworte ich und erkenne langsam pupillenwandernd die Andersheit dieser sonst so stolzen, aufrechten Dame. Ihr Weißhaar ist wie stets perfekt frisiert, nur an den Schläfen haben sich einzelne Strähnen gelöst, als hätten haltsuchende Hände an ihr gerührt. Der oberste Knopf an der immer picobello sitzenden Steifbluse steht offen und auf dem hellgrauen Rock sind verriebene Flecken zu sehen. Mein Blick kehrt zu ihrem schönen Gesicht zurück und nun sehe ich auch die dickgeweinten Augenlider. Fast quälend mühsam senkt sie ihren längst entschwarzten Wimpernvorhang. So hören Sie doch, so eine schöne Musik. Die hat mich hereingerufen.
Mich rufen meine Pflichten, ich nicke ihr nochmals schlicht zu und muß dann doch weitereilen. Doch immer wieder lenken mich meine Schritte in das Floratelier hinein, ja, da sitzt sie. Still in sich versunken, der nächste Anblick ein angeregt unterhaltsamer, dann sogar ein kicherndes Junggesicht, das durch den Fältchenvorhang blitzt. Langsam neigt sich der Sonntag seiner Abendruhe entgegen und mit ihm verebbt der Besucherstrom. Mit zwei neuen Gläschen lasse ich mich erneut bei ihr nieder und habe nur eine Replik auf ihre Glückwünsche. Aber Sie, Sie sehen so traurig aus.
Da bricht es aus ihr heraus: Er erkennt mich bald nicht mehr. Seit Wochen nervt er mich, weil er nicht im Heim bleiben will. Hol mich nach Hause, immer hat er das gefleht. Aber das kann ich doch nicht, ihn pflegen, ich habe doch selber keine Kraft. Und heute, heute hat er mich gefragt, wer ich bin. Wer ich bin! Wissen sie, wie schwer das ist? Ich habe ihn geschüttelt und geküßt und dann fragt der, warum ich denn weine! Ich habe keine Kraft mehr und ich schäme mich so dafür und dann bin ich gegangen. Und dann war hier diese Musik. Der bin ich einfach gefolgt und nun haben Sie mich an der Backe.
Ich reiche ihr stumm ein Taschentuch. Eine Weile sitzen wir still beieinander, ich heule inneräugig mit ihr, doch mein Momentanglück läßt keine bittermandeligen Tränen zu. Sie schluchzt noch einmal und wischt sich dann über das müde Gesicht. Gladiolen, ich sitze hier unter Ihren Gladiolen, er hat mir immer welche geschenkt. Ach, ich muß jetzt gehen, Sie haben doch zu tun. Mir bleibt nur, ihr durch den immernoch rutschnassen Gang zu helfen. Dann schaue ich ihr ein Weilchen nach, wie sie die Straße hochgeht, die einzelne heimlich zugesteckte Gladiolenrispe winkt mir aus ihrer Tasche zustimmend zu.


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                                        Fünfundzwanzig Cent

16/7/2015

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Ich seh' sie fast jeden Tag: sie schiebt frühmorgendlich ihren Rollator durch die Straßen, an dem klappernd zahlreiche Plastiktüten hängen: die Pfandflaschensammlerin, siebzig ist sie mindestens.
Als ich heute an ihr vorbeikomme, hält gerade ein Wagen neben ihr, der Fahrer, ein grauhaariger Herr mit edlen Gesichtszügen, öffnet ein Fenster und fragt: "Sie sammeln Flaschen?"
"Ja", antwortet sie reserviert, schüchtern und verunsichert blickt sie zu dem Herrn hinüber.
Und dann sagt dieser: "Darf ich Ihnen diese hier geben?" und hält ihr eine leere Plastikwasserflasche hin.
Es ist weniger, was er sagt, als wie er es sagt, dies "Darf ich?", das ist echt! Er bittet sie aufrichtig, ihm zu erlauben, ihr dieses kleine Geschenk machen zu dürfen: fünfundzwanzig Cent!
Einen Moment lang vibriert die Luft zwischen den beiden. Dann schiebt sie ihren Rollator an die Seite seines Wagens und nimmt die Flasche entgegen.
Ihr "Danke" ist das zarteste, das ich seit langem gehört habe.

Einfach nur Menschen. Und offen ist die Tür.


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                                                    Angefreundet

12/7/2015

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Du stehst mir im Weg. Wir müssen aneinander vorbei, aber das ist so eng hier, dass wir uns irgendwie werden einigen müssen, und angenehm ist mir das nicht gerade: Du stehst da wie ein Fels, groß, massig, abweisend, alles an Dir kommt mir abweisend vor. Du wirst vermutlich aus dem arabischen Raum stammen, und Dein dunkles Gesicht schaut an mir vorbei, durch mich hindurch in ein Land, das ich nicht kenne.
Und dann bin ich da, Du bemerkst mich, trittst mit ausgesuchter Höflichkeit einen Schritt zurück und blickst mir für den Bruchteil einer Sekunde mit einer solch warmherzigen Freundlichkeit in die Augen, als sei ich Dein bester Freund.
Bin ich auch. Seit eben!


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                                                Vorne wie hinten

11/7/2015

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"Mach' dir keine Sorgen, es hat mich vorher nicht gegeben und es wird mich hinterher auch nicht geben!" tröstet die vierundneunzigjährige kerngesunde, aber in letzter Zeit doch schwächer gewordene Mutter auf etwas bizarre Art und Weise ihre achtundsechzigjährige Tochter, die wieder abreisen muss und ihrer Mutter mit sorgenvoller Miene die Hand gibt.
Da kommt mir, als mir die Tochter dies jetzt, und zwar mit einem abgrundtiefen Schmunzeln erzählt, klammheimlich der Verdacht, dass Frau Mama ihr Töchterchen da zwischen den Zeilen mit etwas ganz anderem getröstet hat als mit ihrer historisch vermuteten und für die Zukunft erwarteten Nichtexistenz. Ich schmunzle einfach mal zurück.

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                                                          Armkraft

11/7/2015

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Den Obst- und Gemüsehändler, bei dem ich mich regelmäßig mit Vitaminlieferanten eindecke, treffe ich heute an ungewöhnlichem Ort und in noch ungewöhnlicherer Pose an: nahe einer vielbefahrenen Straßenkreuzung hat er sich eine schon betagte Holzbank als Sportgerät auserkoren und macht daran in stoischer Ruhe Liegestütze. "Ich muss was für meinen Schultergürtel tun", sagt er, "es ist mir egal, was die Leute denken!"
Seine Frau hat es bald geschafft. Noch zwei Chemos, und sie ist damit durch. Die Ärzte sind zuversichtlich, es sieht gut aus.
Gestern Abend hat sie ihn nach langer Zeit zum ersten Mal wieder in den Arm genommen. Er hat in der Nacht so selig geschlafen wie ein Kind, tief und traumlos.

Und es ist ihm wirklich scheißegal, was die Leute denken!

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                                                  Unter - führung

9/7/2015

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Meinen Dank an den Autoren dieser Erzählung: Achim Elfers.
Originaltitel: "Wohin des Weges?"


Gestern irrte ich den ganzen Tag lang durch die geradezu irrsinnig große
Stadt. Ich forschte hier, spähte dar und suchte dort. Lärm fand ich,
Gestank, Müll, Unruhe, Zorn, vor Armut brüllende Unmenschen.
Endlich betrat ich ein Netz-Café und las den Beitrag namens 'Wohin des
Weges?' von Michael Feuser.
Als Antwort dieser alt-ehrwürdigen Frage entgegen zogen mir die
folgenden Worte durch Sinn: "Zu Angst, Dummheit, Schuld; zu diesen dreien; vor allem aber zu der Angst."
Heute begann der Tag ähnelnd dem gesterigen. Ich kam in ein geradezu
irrsinnig großes Einkaufscentrum der Stadt. Ich kaufte, wiederum durch
Lärm, Unruhe, etc. wie geduckt schleichend, dies und jenes, und setzte mich
endlich erschöpft auf eine Bank. Folgende Worte kamen in meinen Sinn:
"Jeder sucht für sich (oder für den, als den er ‚sich‘ denkt), vielleicht für
seine Familie, für einen Freund oder gar für eine Firma. Sogar leere
Flaschen werden gesucht und gesammelt, allerdings nur gegen Pfand. Die
Pfandlosen werden als "wertlos" liegen gelassen, einerlei, wer sich an den
Scherben ärgert oder verletzt. Statt dessen wird "man" vielleicht
politisch, wählt womöglich eine Blender-Partei, die auf der zornigen Suche
nach Vergänglichem zu helfen vorgaukelt, oder "man" gründet eine Firma oder Banc, um endlich den Gipfel des flüchtigen, nichtigen Glückes zu erstürmen.
Aber an dem Menschen als dem Inneren gehen die Leute dem Äußeren zugetan vorbei.“ In solchem Maße hatte mich die heimatlose Wirrsal der letzten Tage aus dem sonst stumpfen, empfindungslosen Trotte herausgeschüttelt.
Ich verließ das Centrum und ging absichtslos durch eine Unterführung unter
der Straße hindurch auf einen Platz gegenüber, der mich nicht lockte und
auf dem ich nichts suchte. Am Ende der unsteilen, langen Rolltreppe der
Unterführung saß ein vielleicht sechzehnjähriges Mädchen mit dunkelen Augen und Kopftuch. Ein Hund lag in der Hitze schläfrig blinzelnd darneben. Ich gab dem Mädchen ein paar Münzen in ihre Schale und empfand mit einem Male, dass ich im Leben angekommen war. Das Mädchen lächelte unfasslich liebenswürdig und sprach: "Danke schön!" Und Beide wünschten wir einander lächelnd: "Alles Gute!" Des Mädchens Lächeln verreiste darnach in die Vergangenheit, in die hinein ich ihm nicht zu folgen vermochte, weil es in mir gegenwärtig blieb.
Ich setzte mich anderswo auf dem Platze in den Schatten und dachte wie mit
dem Mädchen sprechend: "Du dankst mir? Ich gab dir ein paar Münzen.
Und was gabst du mir?
Durch dich ward meinem Tage Tiefe eröffnet.
Mit dir ward meinem Dasein der Sinn geschenkt.
In dir fand ich als Seele für eine ewige Secunde lang ein Zuhause. Unser
Aller zuhause.
Wohin des Weges allso? Zu G‘laube, Hoff‘nung, Liebe; zu diesen dreien. Vor
allem aber zu der Liebe." (nach 1.Kor 13,13)

Aus dem Alienischen durch Basileus Bibliophilos hindurch übersetzt.


                                                                                                                                                *




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                                                          Blind date

7/7/2015

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"Mein Brustbein ist gebrochen!", sagt sie,  fast ein wenig stolz,  weil sie schon wieder so tapfer unterwegs ist,  schließlich ist sie ja schon vierundachtzig! Ihr hohes Alter, meint sie lächelnd, sei allerdings wohl auch der Grund dafür,  dass die kleine Polizistin die Augenbrauen hochgezogen und "das muss ich eigentlich melden" gemurmelt habe. "Na ja, wir werden sehen".
Die alte Dame ist noch sehr beeindruckt von den Ereignissen der letzten Woche und erzählt in aller Ausführlichkeit, wie sie den auf der Linksabbiegerspur auf eine Gelegenheit zum Losfahren wartenden Wagen glatt übersieht und mit Tempo 40 ungebremst auffährt. Vor allem aber, und noch ausführlicher, erzählt sie von dem „netten Herrn“, der sich nach dem Unfall um sie kümmert, während die Polizei anderthalb Stunden verstreichen lässt, bis sie am Unfallort erscheint: „Er ist die ganze Zeit bei mir geblieben und hat mich getröstet“, sagt sie noch ganz gerührt davon, „den Schrecken hab' ich dabei fast vergessen. Er hat sogar noch zwei Stühle aus einem Restaurant besorgt und Wasser, und dann haben wir da eigentlich ziemlich gemütlich gesessen und über die Sache ganz ruhig gesprochen, so ein netter Mensch!“ „Das find' ich aber auch!“, sag' ich ganz aufrichtig und sie: „Wenn Sie bedenken, dass ich da gerade in seinen Wagen reingerauscht war!“
Oho! Aha! Ich begreife erst jetzt, dass es sich bei dem „netten Herrn“ um den „Unfallgegner“ handelt, wie ihn die Versicherungen nennen werden, ganz zu Unrecht, wie ich meine, als Gegner hat er sich wahrlich nicht erwiesen!
„Er hat mich inzwischen auch schon angerufen“, sagt sie noch, und setzt nach einer kleinen Atempause hinzu: „Und ich ihn dann auch … ich glaube, wir sind befreundet!“ Da lacht sie hell auf, und ihr Lachen kommt aus großer Tiefe, wie bei jemandem, der schon lange weiß, was „befreundet“ wirklich bedeutet.


                                                                                                                                               *
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